Beklemmende Chronik des Widerstands und der Ohnmacht: "Jeder stirbt für sich allein" am Düsseldorfer Schauspielhaus
- Norbert Opfermann
- 8. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Mai
Theaterkritik. Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein", entstanden unmittelbar nach dem Krieg auf Basis von Gestapo-Akten, ist ein erschütterndes Zeugnis einsamen Widerstands im Angesicht des NS-Regimes. Die Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus unter der Regie der österreichischen Regisseurin Nora Schlocker wagt sich an die komplexe Materie und entfaltet über drei Stunden hinweg ein beklemmendes Panorama des Lebens in Berlin im Jahr 1940.
Der erste Teil der Aufführung folgt eng dem Roman, in dem Fallada das Schicksal des Ehepaars Quangel in den Mittelpunkt rückt. Otto, ein Werkmeister in einer Sargtischlerei, und seine Frau Anna, einst Anhänger Hitlers, beginnen nach dem Verlust ihres Sohnes an der Front einen verzweifelten Kleinkrieg gegen das Regime. Hunderte von Postkarten mit Botschaften gegen den Führer werden heimlich verbreitet – ein Akt stiller Rebellion, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Detailfülle, mit der Schlocker den Mikrokosmos des Berliner Mietshauses und seine Bewohner auf die Bühne bringt, ist zwar beeindruckend, führt aber streckenweise zu einer gewissen Langatmigkeit. Die zahlreichen Nebenhandlungen und Figuren, so wichtig sie für Falladas Roman sind, drohen den Fokus auf die zentrale Entwicklung der Quangels zu verwässern. Wer das Buch gelesen hat, ist hier eindeutig im Vorteil.
Insbesondere der entscheidende innere Wandel Otto Quangels, vom unpolitischen Arbeiter zum Widerständler, hätte eine stärkere szenische Zuspitzung vertragen können. Florian Lange verkörpert zwar eindrücklich die Bitterkeit und den Ernst des Protagonisten, doch der Moment des Aufbruchs, die Triebfeder seines Widerstandes, verliert inmitten der vielen Einzelschicksale an Kontur. Auch die stille Komplizenschaft Annas (präsent und zurückhaltend gespielt von Cathleen Baumann) bei der gefährlichen Mission der Kartenverteilung könnte intensiver beleuchtet werden.
Die Inszenierung nimmt sich die Freiheit, von Falladas Vorlage abzuweichen. So prägen unheimliche Kinder in stilisierten HJ-Uniformen das Bühnenbild, eine visuelle Metapher für die allgegenwärtige Indoktrination, die jedoch nicht immer organisch in die Szenerie passt.
Der zweite Teil der Aufführung gewinnt an Dringlichkeit. Die Verhaftung der Quangels und die zunehmende Bedrohung durch den Terror der SS, der selbst vor den eigenen Reihen nicht haltmacht, werden eindrücklich inszeniert. Jürgen Sarkiss zeichnet das beklemmende Porträt des Gestapo-Mannes Escherich, der zwischen Machtdemonstration und eigener Angst vor dem Vorgesetzten gefangen ist. Am Ende die Erkenntnis der Quangels, dass ihre Aktionen wirkungslos geblieben sind. Nur 18 Karten wurden bei der Polizei nicht abgeliefert, gleichwohl sind auch diese nicht gelesen worden. Auch das hinzugefügte Schlussbild des zweiten Teils, ein ukrainisches Mädchen, das in einer Trümmerlandschaft Steine aufeinander türmt, ist eine Zutat Schlockers. Dieses eindringliche Bild mag die universelle Sehnsucht nach Wiederaufbau und Frieden symbolisieren, wirkt aber im direkten Kontext der Romanhandlung etwas isoliert.
Nora Schlocker möchte mit ihrer Inszenierung über die reine Nacherzählung hinauszugehen. Sie entkleidet Falladas Geschichte von ihrem vermeintlich Volkstümlichen des Berlinerns und konzentriert sich auf die psychologische Komplexität der Figuren und die allgegenwärtige Angst in einer Diktatur. Die Hinzufügung der Kinder und des ukrainischen Mädchens am Ende des zweiten Teils kann als Versuch interpretiert werden, die Thematik zu erweitern und eine Verbindung zur Gegenwart herzustellen. Das stumme Bild des Mädchens in den Trümmern, das eine neue Existenz aufbaut, mag als Antwort auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Widerstands dienen: Auch wenn der Kampf im Moment aussichtslos erscheint, so bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Notwendigkeit des Wiederbeginns bestehen.
Insgesamt ist "Jeder stirbt für sich allein" am Düsseldorfer Schauspielhaus ein intensiver Theaterabend, der zum Nachdenken anregt. Trotz einiger dramaturgischer Unebenheiten im ersten Teil und der diskutierbaren Eingriffe in die Romanvorlage gelingt es Nora Schlocker, die beklemmende Atmosphäre der NS-Zeit und den Mut des Einzelnen im Angesicht des Terrors eindrücklich zu vermitteln. Die Schlussszene mit dem ukrainischen Mädchen verleiht der Inszenierung eine zusätzliche, über den historischen Kontext hinausgehende Dimension der Hoffnung und des Neubeginns. Dennoch hätte die Inszenierung die innere Zerrissenheit und den mutigen Entschluss Otto Quangels noch pointierter herausarbeiten können.
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