Norbert Opfermann

21. Juli 20215 Min.

Beuys-Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn

Bonn. Zum Jubiläumsjahr "100 joseph beuys" finden in ganz NRW Ausstellungen statt. Im K20 in Düsseldorf läuft noch bis zum 15. August die Beuys-Ausstellung "Jeder Mensch ist ein Künstler". In einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt in Bonn und Duisburg nehmen die Bundeskunsthalle und das Lehmbruck Museum das Werk von Joseph Beuys in seiner engen Verbindung zu Wilhelm Lehmbruck in den Blick.

Ausstellungsplakat Bonn.

Es gibt nicht viele Künstler, die in der Geschichte der Kunst einen so nachhaltigen Umbruch bewirkt haben wie Joseph Beuys. Im Januar 1986 erhält Beuys den Wilhelm-Lehmbruck-Preis. In seiner Rede zur Preisverleihung beschreibt er, wie er über das Werk Lehmbrucks zu seinem Konzept der Sozialen Plastik gefunden hat: „Alles ist Skulptur!“, habe ihm die Abbildung eines Werkes von Wilhelm Lehmbruck zugerufen, so Beuys in seiner Dankesrede. In der Folge erweitert er mit seiner Idee der ‚Sozialen Plastik‛ die Grenzen der Kunst, um die so gewonnene Freiheit auf die Gesellschaft als Ganzes zu übertragen.

Die Ausstellungen in Bonn und Duisburg werfen ein neues Licht auf das Werk der beiden Künstler und zeigen die Zusammenhänge, die Beuys selbst herstellt, indem er den 40 Jahre älteren Lehmbruck am Beginn seiner heute legendären Rede zur Überraschung vieler als "meinen Lehrer" bezeichnete. Obwohl es bekanntlich nie ein akademisches Lehrer-Schüler-Verhältnis gegeben hat (Lehmbruck starb 1919), spricht Beuys von einer tiefen Beziehung, von einem "Grunderlebnis" bei der Begegnung mit dem Werk Lehmbrucks.

Die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen beiden Künstlern liegt wohl in ihrer Überzeugung, dass Kunst die Kraft hat, die Welt nicht nur zu erklären, sondern unser soziales Gefüge zum Besseren zu verändern. War für Lehmbruck Skulptur "das Wesen der Dinge, das Wesen der Natur, das, was ewig menschlich ist", so folgerte Beuys daraus den neuen skulpturalen Imperativ: "Alles ist Skulptur!" Sie sei das Mittel der Transformation, des Übergangs von einem Zustand in den anderen. Wenige Tage später, am 23. Januar 1986, stirbt Beuys.

Wilhelm Lehmbrucks und Joseph Beuys' Leben und Werk

Der 1881 geborene Wilhelm Lehmbruck zählt zu den progressiven Positionen der Bildhauerei im frühen 20. Jahrhundert. Seinen sehr eigenständigen Ausdruck entwickelt er vor allem während seiner Zeit in Paris von 1910 bis 1914. Mit seinen feingliedrigen Figuren und ausdrucksstarken Köpfen erntete er bald das Ansehen der internationalen Kunstkritik. Mit der Knienden gelingt Lehmbruck der internationale Durchbruch. Sie wird auf großen Ausstellungen in Paris und Köln, später auch in New York und Chicago gezeigt. Entstanden ist sie 1911 während seiner Pariser Zeit. Lehmbrucks neuer, eigenwilliger Stil erregt Aufsehen in der zeitgenössischen Kunst. In Deutschland, bei einem konservativen Publikum, das an den wilhelminischen Akademismus gewöhnt war, stieß er jedoch zunächst auf Unverständnis. 1927 wird die Kniende zu Ehren des Künstlers in seiner Heimatstadt Duisburg aufgestellt. Daraufhin entbrennt heftiger Protest. Die Empörung über ihre 'Unsittlichkeit' mündet schließlich darin, dass die Skulptur von ihrem Sockel gestürzt wird. Wenige Jahre später fällt die Skulptur dem Bildersturm der Nationalsozialisten zum Opfer. Sie wird aus den öffentlichen Museen entfernt und in Duisburg durch einen volkstümlichen Männeken-Pis-Springbrunnen ersetzt. 1937 wird sie zu einem der zentralen Werke der nationalsozialistischen Propaganda-Ausstellung Entartete Kunst.

Der Mensch in seiner Existenz, in seiner Verwundbarkeit und Stärke steht bei Lehmbruck wie bei Beuys im Zentrum des künstlerischen Werkes. Der Kreislauf des Lebens von der Geburt bis zum Tode ist für sie ein grundlegendes Thema. Die Auseinandersetzung mit Leiden und Tod hat in den Werken von Wilhelm Lehmbruck und Joseph Beuys einen großen Stellenwert. Beide Künstler vereint die Kriegserfahrung, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Lehmbruck wurde im Ersten Weltkrieg wegen seiner Schwerhörigkeit vom aktiven Dienst befreit. Dennoch litt er sehr unter der Allgegenwärtigkeit des Krieges. 1915 arbeitete er kurzzeitig als Sanitäter in einem Lazarett. Seine beiden Hauptwerke der Kriegsjahre, der Gestürzteund der Sitzende Jüngling, sind Zeichen der künstlerischen Verarbeitung des Geschehens und der persönlichen Erfahrungen. Die Skulpturen zeigen keine Helden, stattdessen finden Verzweiflung und Erschütterung ihren Ausdruck.

Joseph Beuys meldete sich 1940 als 19-Jähriger freiwillig zur Luftwaffe. Bei einem Fliegereinsatz an der Ostfront stürzte er über der Krim ab. Er verbrachte etwa drei Wochen in einem Lazarett, später sprach er allerdings von einer Rettung durch Krim-Tataren. Die Kopfverletzungen, die er bei dem Absturz erlitt, bereiteten ihm Zeit seines Lebens Beschwerden. Über seine Erfahrungen als Wehrmachtssoldat und auch über die innerlich empfundene Schuld sprach Beuys später wenig. Was ihn jedoch immer wieder beschäftigte, waren die Traumata und Wunden, die jeder Mensch –unabhängig von Kriegserfahrungen –mit sich trägt. Beuys war es wichtig, Schmerz und Leiden zu thematisieren, denn "eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden". Die Begegnungmit der Kunst Lehmbrucks bedeutete für Beuy seine Initialzündung: Mit Kunst, so spürte er, kann man etwas auslösen, etwas bewegen, Menschen berühren.

Denken ist Plastik

Mit dem Denken beginnt alles. Der Gedanke ist der erste Impuls, erst danach setzt das Handeln ein. Menschen produzieren Gedanken, formen ihre Gedanken zu einer Idee. Auf dem Denken beruht außerdem unsere Freiheit: Es verschafft uns Erkenntnisse und lässt uns schöpferisch werden. Deswegen ist für Joseph Beuys klar: "Schon Denken ist Plastik." Gemeint ist nicht nur das rationale Denken, sondern auch die Intuition. Sie ist für Beuys das 'höhere' Denken, weil sich die Intuition aus allen Sinnen speist. Dasselbe gilt bei ihm auch für die Kunst. Skulpturen, Objekte und Zeichnungen blieben für Beuys trotz seines erweiterten Kunstbegriffs weiterhin wichtig. Die verwendeten Materialien folgten dabei seinem eigenen Bedeutungssystem. Auf ihren Eigenschaften beruht Beuys’ Plastische Theorie. Ist ein Stoff fest oder flüssig? Leitet er Energie oder wirkt er isolierend? Bestimmte Materialien vermitteln uns ein Gefühl von Kälte oder Wärme, andere Stoffe stehen für Bewegung und Formbarkeit. Für Beuys war auch Nicht-stoffliches ein künstlerisches Material. Kunst bedeutete für ihn mehr, als nur das Sichtbare zu erfassen. Es ging ihm um alle Sinne, vor allem aber um die Vorstellungskraft.

Multiples sind Kunstwerke, die in hoher Auflage geschaffen und preiswert verkauft werden. Vor allem in den 1960er-Jahren waren sie beliebt. Kunst sollte nicht der reichen Elite vorbehalten bleiben, auch alle anderen Menschen sollten sich Kunst leisten können. Beuys fertigte insgesamt mehr als 500 unterschiedliche Multiples an. Ihn begeisterte diese "demokratische" Verbreitung von Kunst auch, weil er damit so viele Menschen erreichen konnte. "Ich bin ein Sender, ich strahle aus."

Das Multiple Capri-Batterie aus dem Jahr 1985 ist sein letztes und vielleicht auch sein bekanntestes.Die Zitrone als Energiequelle für die gelbe Glühbirne steht für die Natur als Grundlage jeglicher Art von Energie. Die Zitrone können wir nicht riechen, aber unser Geruchssinn wird aktiviert, und wir stellen uns vor, wie es riechen könnte.

Wilhelm Lehmbruck hat mit dem Kopf eines Denkers (1918) den Versuch unternommen, das Denken skulptural zu erfassen. Nicht den Typus eines großen Denkers oder Gelehrten wollte Lehmbruck wiedergeben, sondern den inneren Zustand des Denkens greifbar machen. Keine Mimik, nicht einmal die Physiognomie ist in ihren Details ausgeformt. Das Körperliche tritt in den Hintergrund. Lehmbruck legt den Fokus stattdessen auf das Geistige und versucht, das nicht sichtbare spürbar zu machen. Die hohe, zerfurchte Stirn und der überlange, gesenkte Kopf sind betont. Auf der Brust ruht, ebenfalls kaum ausgeformt, die linke Hand, die zum Herzen deutet.

BEUYS –LEHMBRUCK

Denken ist Plastik

25. Juni bis 1. November 2021

Bundeskunsthalle, Bonn

Parallel dazu:

LEHMBRUCK -BEUYS

Alles ist Skulptur

26. Juni bis 1. November 2021

Lehmbruck-Museum, Duisburg

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